Nepal – hoch und heilig. Dagmar Wöhrl, über ihre Auslandsreise nach Nepal.
Eine Zusammenstellung aus Interviews mit der Vorsitzenden des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Deutschen Bundestag, zur Nepalreise von Dagmar Wöhrl aus der Nürnberger Zeitung, Abendzeitung und Bayernkurier.
Warum unterstützt Deutschland ein Land wie Nepal, das sich sprichwörtlich am anderen Ende der Welt befindet?
Wir tun dies – auch schon seit sehr vielen Jahren – weil die Probleme Nepals schneller vor unserer Türe stehen könnten, als dies die meisten erahnen. Es handelt sich hier aber meistens um präventive Hilfe. Wir versuchen also, dass sich die Lage in Nepal in bestimmten Gebieten wie Gesundheits- oder Umweltpolitik verbessert.
Das Problem von uns Entwicklungspolitikern ist es, dass wir diese Ausgaben zu Hause zu rechtfertigen zu haben, denn es ist doch allgemein so: Die Menschen wollen lieber den Politiker sehen, der sich nach einem Dammbruch mit Gummistiefeln die Schäden anschaut, als denjenigen der durch weise politische Entscheidungen, den Damm im Vorfeld so gestärkt hat, dass er erst gar nicht bricht. In der Entwicklungspolitik versuchen wir solche Dämme zu stärken und neue aufzubauen, damit die Gummistiefel im Schrank bleiben können.
Was sind die Schwerpunkte der deutschen Entwicklungshilfe in Nepal?
Neben unserem Beitrag zur Stabilisierung des Friedensprozesses und zur Überwindung der Folgen der gewalttätigen Konflikte während des 10-jährigen Bürgerkriegs von 1996 bis 2006 haben wir uns für einen Dreiklang der Unterstützung entschieden:
Förderung der kommunalen Selbstverwaltung, Förderung der Stromversorgung und Energieeffizienz und schließlich Förderung des Gesundheitswesen und der Familienplanung. Wir wollen mit unserem langfristigen deutschen Engagement, unserer politisch neutralen Haltung, der Kontinuität und Nachhaltigkeit unserer Programme ein Partner auf gleicher Augenhöhe für Nepal sein.
Und warum müssen Politiker ins Ausland reisen, um Entwicklungspolitik gestalten zu können?
Weil es nicht genug ist, einfach Geld zu überweisen, um unser Gewissen zu erleichtern. Wir würden sonst hier fernab der Wirklichkeit und der Realitäten vor Ort in unserem politischen Elfenbeinturm über Millionen entscheiden. Die deutsche Entwicklungshilfe unterscheidet sich aber auch von anderen Ländern, denn wir wollen nicht einfach ausländische Haushalte subventionieren, sondern dass das Geld direkt bei den Menschen ankommt.
Eines möchte ich noch einmal klarstellen: Wir Abgeordnete reisen nicht in diese Länder um einen Blankoscheck an korrupte Regierungen zu übergeben, sondern um die Verwendung deutscher Mittel zu überprüfen und bei Verfehlungen die notwenigen Konsequenzen zu ziehen.
Warum reisen Sie gerade jetzt nach Nepal?
Ich durfte zu einer sehr spannenden Zeit in Nepal sein, denn die politischen Kräfte vor Ort sind in den letzten Anstrengungen endlich eine Verfassung zu verabschieden und damit die jahrelange Blockade der politischen Arbeit zu beenden. Ob dies allerdings gelingen wird ist leider sehr fraglich.
Die Verfassungsgebende Versammlung benötigte 18 Wahlgänge, um endlich einen neuen Präsidenten zu wählen. Anfang Februar hat nun Jhala Nath Khanal die Regierungsgeschäfte aufgenommen und versucht seitdem eine Koalition zu schmieden und die einzelnen Ministerien zu besetzen.
Des Pudels Kern in Nepal liegt letztlich im Friedensprozess und in der Reintegration der ehemaligen Rebellen in das gesellschaftliche Leben. Viele Verbrechen, die während des 10-jährigen Bürgerkriegs begannen wurden, sind bis heute nicht aufgeklärt, da man sich nicht einigen konnte, wer ein derartiges Tribunal oder Kommission zur Wahrheitsfindung leiten soll.
Deshalb sagen die einen, wir können keine neue Verfassung erlassen, bis nicht der Friedensprozess erfolgreich abgeschlossen ist. Die anderen sind der Auffassung, dass zunächst eine Verfassung benötigt wird, um das Land wieder regieren zu können und dann soll sich dem Friedens- und Aussöhnungsprozess gewidmet werden.
In meinen Gesprächen mit Vertretern aller Parteien ist eines deutlich geworden. Der Fortschritt Nepals wird blockiert, da sich die verschiedenen Akteure nicht vertrauen. Ich habe versucht deutlich zu machen, dass die Schaffung einer Verfassung eine derart fundamentale Arbeit für eine funktionierende Demokratie ist, dass dies nicht mit dem politischen Alltag verwechselt werden darf.
Damit die Verfassung von allen Menschen akzeptiert wird, ist ein großer Konsens quer durch alle politischen Lager, vor allem auch bei den Minderheiten, nötig. Erst danach kann eine richtige parlamentarische Arbeit mit einem Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition beginnen. Bei meinen Treffen mit Politikern habe ich betont, dass sie nicht Verantwortung für die nächsten Wahlen, sondern Verantwortung für die nächsten Generationen tragen. Und diese Aussage hat auch für uns deutsche Politiker Gültigkeit.
Wie würden Sie die aktuelle wirtschaftliche Situation in Nepal einschätzen?
Je nach Statistik liegt das jährliche Bruttoinlandseinkommen der Nepalesen pro Kopf bei ca. 340 US-Dollar. Damit liegt Nepal beim Entwicklungsindex der Vereinten Nationen auf Platz 145 von 179. Von 29,5 Millionen Einwohnern können momentan lediglich 400.000 Steuern bezahlen und ca. 3Mio Menschen sind auf ausländische Nahrungshilfe angewiesen. Hier haben wir es mit einem strukturellen Problem zu tun.
Das liegt zum einen daran, dass nur knapp die Hälfte aller Erwachsenen lesen und schreiben kann und so nur schwer einen Arbeitsplatz bekommen, von dem sie ihre Familien ernähren können. Zum anderen hat Nepal ein riesiges Energieproblem: Die Kluft zwischen vorhandenem Strom und dem eigentlichen Strombedarf der Bevölkerung und Wirtschaft ist derart groß, dass dies täglich zu Stromabschaltungen im ganzen Land führt.
Und wir sprechen hier nicht nur von ein paar Stunden, sondern von bis zu 16 Stunden täglich. Hierdurch richtet sich das gesamte private Leben nach den Einschaltplänen der Stromversorgung und an ein kontinuierliches wirtschaftliches Leben ist gar nicht erst zu denken.
Wie sieht die Lage für ausländische Investoren in Nepal aus?
Obwohl sich die Regierung bemüht entwicklungsorientierte und marktwirtschaftliche Politik zu betreiben, schreckt die Gesamtsituation ausländische Investoren ab. Man kann insofern von einem gebremsten Wirtschaftswachstum sprechen. Gebremst durch schwerfällige Bürokratie, schwacher Infrastruktur, ein unzureichendes Bildungsniveau und Mangel an Fachkräften.
Hinzu kommt die schwierige geographische Lage Nepals zwischen dem Himalaya auf der einen Seite und dem indischen Dschungel auf der anderen. Auch habe ich den Eindruck gewonnen, dass das kleine Land zwischen den beiden Weltmächten China und Indien aufgerieben wird, die mit ihrer dortigen Entwicklungshilfe Nepal in ein Abhängigkeitsverhältnis bringen wollen.
Wo sehen Sie Wachstumspotential für Nepal?
Wenn es Nepal schafft zeitnah seine Verfassungskrise zu beenden und den Aussöhnungsprozess entschieden vorantreibt, sehe ich gute Chance für Nepal bestimmte Nischenbereiche zwischen den beiden Weltmächten China und Indien besetzen zu können. Zum einen steckt großes Potential in der Energiegewinnung durch Flüsse südwärts des Himalayas.
Zum anderen kann der Tourismus noch stark ausgebaut werden. Nach einem Hoch in der Tourismusbranche in den 1970er, 1980er Jahren kam ein starker Einbruch bei den Besucherzahlen bis ungefähr zur Jahrtausendwende. Seitdem haben wir wieder einen Anstieg.
Allerdings sind die Zahlen von einst noch lange nicht erreicht. Zudem kann Nepal seinen Standort als Bergsteiger und Trekking-Land weiter ausbauen. Auch im Öko/-ethnic-Tourismus sehe ich Chancen. Damit dies aber geschehen kann, wird es wichtig sein, dass große Fluggesellschaften wie Lufthansa oder Air Berlin direkt nach Nepal fliegen.
Wie ist das Interesse von privaten Hilfsorganisationen in Nepal?
Hier gibt es ein kleines Phänomen in Nepal. In kaum einem anderen Land ist das Interesse von privaten Vereinen und Initiativen so groß wie in Nepal. Allerdings wissen diese zahlreichen Akteure oftmals nicht von der Arbeit des jeweils anderen, so dass es zu Überschneidungen kommt.
Deshalb habe ich angeregt, dass durch die deutsche Botschaft in Nepal ein „Friends of Nepal- Day“ organisiert wird, an dem sich die privaten und öffentlichen Organisationen, Initiativen und Stiftungen treffen können, um sich so auch für die Zukunft besser abstimmen zu können. Das Motto dieser Veranstaltung könnte lauten: „Deutschland tut was“.
Wie sind die Lebensverhältnisse für die in Nepal lebenden Tibeter?
Nepal steht in einer großen Abhängigkeit zu Indien. Deshalb versucht sich Nepal aus dieser Abhängigkeit etwas zu befreien, indem es eine verstärkte Zusammenarbeit mit China sucht. Dies bietet einerseits neue Chancen für die Nepalesen, allerdings geraten sie andererseits so auch in ein zweites Abhängigkeitsverhältnis, denn China kann die „Konditionen dieser neuen Freundschaft“ diktieren.
Ein Problem ist die Haltung Nepals zur Tibetfrage. Sie werden keine Landkarte mehr in Nepal finden, in der Tibet eingezeichnet ist – man passt sich aus der Not heraus dem großen Bruder an. Somit ergibt sich aber ein weiteres Problem: Welchen Status haben die über 15.000 in Nepal lebenden Tibeter? Sie bekommen keinen Ausweis oder Identifizierungskarte, sodass sie de jure eigentlich gar nicht existieren.
Ohne diese Papiere können die Tibeter in Nepal aber keiner Arbeit nachgehen mit der Folge, dass die Arbeitslosigkeit in der tibetischen Gemeinde in den letzten 10 Jahren rapide angestiegen ist. Ich habe einen jungen tibetischen Mediziner getroffen, der sogar in den USA studierte und sein Studium mit erstklassigen Noten abgeschlossen hat. Nach seiner Rückkehr nach Nepal – was er auch als Verpflichtung gegenüber seiner Landsleute ansah – konnte er aber nicht als Arzt tätig werden, weil er als Tibeter eben keine Identifizierungskarte erhält.
Wie kann Deutschland hier den Tibetern helfen?
Auch für Deutschland ist dies keine einfache Situation. Wir alle wissen, wie schwierig es ist gute wirtschaftliche Beziehungen zu China zu pflegen und gleichzeitig die Menschenrechtslage zu thematisieren. Wenn wir unseren Anspruch, die Menschenwürde als höchstes Gut unseres politischen Handelns zu verstehen, gerecht werden wollen, können wir beide Fragen nicht voneinander trennen.
Eine erste Möglichkeit aktiv zu werden, ergibt sich schon bald: Am 20. März werden die Tibeter weltweit ihre Exilregierung in Dharamsala wählen. Eigentlich findet diese Wahl alle 5 Jahre statt, doch wie mir der Vertreter des Dalai Lama in Nepal, Trinlay Gyatos, bei unserem gemeinsamen Treffen berichtete, wurde die Wahl im vergangenen Herbst von der nepalesischen Regierung als Anti-China-Maßnahme eingestuft, was zum Abbruch der Wahlen in Nepal führte. Herr Gyatos erklärte mir weiter, dass die nepalesische Regierung die Wahlurnen beschlagnahmte und bis heute nicht wieder zurückgegeben hat. Deshalb müsse die Wahl jetzt wiederholt werden.
Manche sprechen von einem grotesken Kotau vor der chinesischen Regierung, es verdeutlicht aber meiner Ansicht nach einmal mehr die Abhängigkeit Nepals. Denn es darf nicht vergessen werden, dass Tibet und Nepal eigentlich eine lange und intensive Freundschaft verbindet.
Sie haben auf Ihrer Reise auch die „singende Nonne“ Ani Choying Drolma getroffen – warum dieser Besuch?
Ani Choying Drolma ist eine der erfolgreichsten Sängerinnen Nepals und daher eine der bekanntesten Botschafterin des Landes in der ganzen Welt. Sie erreicht mit ihren „Mantras für die Massen“, wie es eine deutsche Zeitschrift formulierte, die Herzen und Seelen der Menschen weltweit und sensibilisiert so auch die Öffentlichkeit für die dramatische Lage der Menschen in Nepal.
Was mich persönlich sehr beeindruckte, ist, dass Ani so bescheiden und freundlich geblieben ist. Mit den Erlösen aus ihren CDs und Auftritten hat sie eine riesige Schule für Nonnen oberhalb des Kathmandu Valley gebaut und kann dort fast 100 Kinder betreuen. Waisenkinder oder Kinder, die nicht mehr von ihren Familien ernährt werden können, bietet Ani so eine zweite Chance für ein neues Leben.
CDs von Ani Choying Drolma auf Amazon.de
Sie sagte zu mir, dass der Schlüssel für eine bessere Zukunft in der Bildung läge. Das Projekt ist stetig gewachsen – auch mit viel Unterstützung aus Deutschland. Wir scherzten, dass sie pro veröffentlichter CD ein Stockwerk finanzieren konnte.
Ihr neuestes Projekt finde ich besonders bemerkenswert: Ani möchte den ersten Tempel für die Göttin Tara bauen, die eine weibliche, friedvolle Manifestation erleuchteter Weisheit darstellt. Sie möchte damit vor allem ein Zeichen für Frauen setzen, die meistens doch noch sehr unter dem Kastensystem und historisch tradierten Gewohnheiten leiden. Ani sagte zu mir der Tempel solle „weiblich und mächtig“ werden. Solche starke Frauen braucht das Land!
Wie würden Sie ihre Erfahrungen in Nepal kurz zusammenfassen?
Durch meine vielen Gespräche mit ganz unterschiedlichen Menschen konnte ich mir ein sehr gutes Bild über die aktuelle Lage in Nepal verschaffen. Auch haben mir die deutschen Entwicklungshelfer vor Ort anschaulich von ihren Aufgaben berichtet und ich konnte mich vom Werdegang unterschiedlicher deutscher Entwicklungsprojekte überzeugen.
Wie so oft im Leben kommt es eben auf die Perspektive an und wenn man die Möglichkeit hat mit anderen Augen ein Land sehen zu können, ist dies eine Bereicherung. Ich weiß nun, wo der Schuh drückt und wofür wir Geld in den nächsten Haushaltsverhandlungen einplanen sollten.
Nepal zeichnet aber auch seine unglaubliche kulturelle und religiöse Geschichte aus – eine Hochkultur, der es gilt wieder auf die Beine zu helfen. Und dann ist das Land natürlich auch mit seiner geographischen Lage ein Juwel auf dem Dach der Erde.
Denn was mich diese Reise lehrte ist, dass Reichtum nicht Allerortens das gleiche Gesicht hat.
Man könnte sagen Nepal ist hoch und heilig.
Unter folgendem Link finden Sie weitere Fotos von Dagmar Wöhrl’s Nepalreise Anfang März: www.flickr.com/photos/dagmarwoehrl
Quelle und weitere Informationen zu Nepal:
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung www.bmz.de